26.6.2014 Branders

Zukunft Brand Design – Herausforderungen für ein Berufsbild.


Branding hat sich in den letzten Jahren zu einer strategischen Unternehmensfunktion entwickelt. Damit ist der Anspruch an ein effizientes Führungsinstrument verbunden, welches das Entwickeln und Steuern eines ganzheitlichen Markenerlebnisses ermöglicht. Welche Herausforderungen lassen sich daraus für das Berufsbild Brand Design ableiten? 

 

Die Tätigkeiten des heutigen Brand Designers sind in den letzten Jahrzehnten in vielfältigen Berufsbezeichnungen zum Ausdruck gekommen: Vom Grafiker, Grafik-Designer, (visuellen) Gestalter bis zum Mediendesigner oder Kommunikations-Designer. Darin spiegeln sich verschiedene Haltungen und Traditionen aus Praxis und Theorie, von Berufsverbänden, Schulen und Hochschulen. 

 

Aus Sicht der Branding-Praxis unterliegen die Anforderungen an das Berufsbild den wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen im Kundenumfeld. Folgende – nicht abschliessende – Themenbereiche zeigen Entwicklungen und mögliche Konsequenzen für das Berufsbild auf. 

 

Von der Corporate Identity zur Brand Identity: Der Weg zum identitäts- und marktorientierten Ansatz 

Ab den 80er Jahren hat sich der Begriff der Corporate Identity weitgehend etabliert. Gemeint war damit die Summe der unternehmenstypischen Merkmale (Unternehmens-identität), die sich in den Wirkungsdimensionen Design, Kommunikation, Kultur und Verhalten äussern und so das Unternehmen von der Konkurrenz unterscheiden. Schon damals war der Anspruch an ein Gesamtkunstwerk definiert, das in der Umsetzung häufig unvollendet blieb. Denn die CI-Praxis war weitgehend geprägt vom Corporate Design – hier liessen sich sichtbare Resultate erzielen, meist jedoch isoliert und noch wenig integriert mit den anderen Dimensionen der CI-Schule. So war immer mehr von «CI/CD» die Rede – das zweite prägte das erste. Dem Corporate Design vorangegangen waren Leitbilddiskussionen, Visions- und Missionsentwicklungen, geprägt durch ein meist innenorientiertes Selbstverständnis. In den mitunter formelhaften Leitbildern dominierte die Perspektive des «Wir haben …», «Wir sind …», «Wir wollen …».

 

In den letzten rund 15 Jahren hat sich das Konzept Marke mit der zunehmenden Sensibilisierung auf Unternehmensseite für die ökonomische Dimension des Themas – vom finanziellen Markenwert bis hin zur Kommunikationseffizienz – etabliert. Die Kommunikationsbranche hatte nach der CI-Station und der Debatte in den 90er Jahren rund um das Thema «integrierte Kommunikation» ein weiteres Etappenziel erreicht. 

Der Brand wird zum Vehikel und Steuerungsinstrument der Unternehmensführung. Die grundlegenden Wirkungsdimensionen sind dabei unverändert, neu sind die Ansprüche an Dynamik, Flexibilisierung und Integration der Sichtweisen: Markensysteme sind nicht mehr statisch, sondern passen sich laufend den Ansprüchen von Unternehmen und Markt an. Die identitätsorientierte Perspektive entwickelt sich zur identitäts- und marktorientierten Sichtweise unter Einbezug der wichtigen Stakeholder, von den Mitarbeitern bis zu den Kunden. Treiber-, Markt- und Wettbewerbsanalysen werden zur Selbstverständlichkeit. Corporate Identity ist nicht mehr eine gegebene Grösse und Behauptung, sondern Resultat und Summe kommunikativer Prozesse und entsteht aus dem wechselseitigen Zusammenspiel im System – aus identitäts- und marktorientierter Perspektive. Corporate Identity wird zur Brand Identity. Dieses kommunikative Wechselspiel bedingt, die eigenen Sichtweisen auszuweiten. 

 

Vom Corporate Design zum Brand Design: Das dynamische Prinzip

Die Projekte des Corporate Design wurden in CD-Programmen zusammengefasst und in Teilprojekten nach einzelnen Medien getrennt gegliedert. Das Resultat waren umfassende Regelwerke für alle Anwendungen inkl. Spezifikationen und Vermassungen. Dabei hiess Corporate Design für lange Zeit Print-Design – Markenauftritte wurden für Korrespondenzmittel und Broschüren entwickelt. Die dritte Dimension in Form von Messeständen sowie mit der Zeit das Web wurden darauf basierend abgeleitet. Methodisch blieb jedoch die Printsicht dominierend – sie ist es teilweise heute noch. In der Entwicklung neuer Auftritte wurden und werden weiterhin die Grundelemente Logo, Schriften, Typografie, Layout, Farben und Bilder inszeniert. Mitunter einzeln und nacheinander konzipiert und angeordnet. 

 

Mit der rasanten Medienentwicklung der letzten zehn Jahre in Richtung Bewegtbild und räumlicher Inszenierung der Marke boten sich neue Möglichkeiten an. Die Dynamik in der Medienentwicklung sowie der neuen Medien an sich drängt vom starren Regelwerk zur flexibleren Form: Markenauftritte basieren nun mehr auf wenigen DNA-typischen Prinzipien als auf Vermassungsfibeln. Diese Prinzipien gilt es im Prozess systemisch zu entwickeln in einem medienübergreifenden Gesamtkonzept von den Printmedien bis zum Bewegtbild und der räumlichen Inszenierung der Marke. Methodisch heisst das: nicht die einzelnen Grundelemente sind in einem Printraster zu definieren, sondern zuerst gilt es die Prinzipien des Gesamtsystems zu denken, konzipieren und zu visualisieren.

 

Von der Form zum Inhalt: Die narrative Markenführung triumphiert

Der designtheoretische Diskurs und Streit zwischen Inhalt und Form ist so alt wie die Designdisziplin. Die CD-Schule war – es ist nicht zu leugnen – stark von der Form geprägt, von der Suche nach der «guten Form». Die CD-Agenturen beschränkten sich auf die Definitionen ihrer Manuale und sahen sich als Gralshüter der richtigen Vermassung. Die eigentliche Umsetzung in ein kommunikatives Erlebnis war Sache von Kommunikationsagenturen. Die Zusammenarbeit im kommunikativen Praxistest wurde selten gesucht. Es fand wenig Dialog und Kooperation statt zwischen CD-Agenturen und Werbeagenturen. Im Zeitalter des dynamischen Prinzips kommt nun dem Storytelling und damit dem Inhalt eine neue Bedeutung zu. Content wird zum Trumpf in der Markenführung. Damit versuchen sich Unternehmen im Kampf um Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit differenzierend zu positionieren. Für die Branding-Disziplin bedeutet dies: Je wichtiger der Inhalt, umso wichtiger die kommunikative Umsetzung und das Markenerlebnis. Die Grenzen zur kommunikativen Praxis werden durchlässig, die ehemals gerne eingehaltenen Schranken sind obsolet oder zumindest neu zu verhandeln.

 

Von der Experten- zur Prozessberatung: Marke als Organisationsentwicklung

Das Corporate Design war für lange Zeit eine Expertenberatung, die Kunden waren dankbar für den Rat und die Expertise – eine kooperative Zusammenarbeit und Einbindung der Kunden in den Entwicklungsprozess war die Ausnahme, die CD-Exponenten zeigten sich überzeugt von ihrem Wissensvorsprung getreu dem Motto «Wir sagen den Kunden, was sie wollen.».

Je nach Kunde und Aufgabenstellung spielt die Expertenberatung nach wie vor eine wichtige Rolle und trifft auch so manche Erwartungshaltung seitens Auftraggeber. 

Die Art der Zusammenarbeit erreicht jedoch immer mehr eine neue Art von Qualität. 

Es ist diejenige der gemeinsamen Entwicklung unter Einbezug der Kunden. Lösungen werden vermehrt kooperativ in gemeinsamen Projektgruppen erarbeitet, was als Chance verstanden durchaus zu einer erhöhten Identifikation mit dem Thema auf Kundenseite führen kann. Die damit verbundene Kompetenz, komplexe und langfristige Prozesse zu steuern unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen auf Unternehmensseite ist mittlerweile ein kritischer Erfolgsfaktor für Branding-Dienstleister. Die Anforderungen an die Rolle als Moderator und Übersetzer in diesen Prozessen steigen kontinuierlich.

 

Zudem hat die Integration der Marke in die Organisation mehr Tiefe erreicht. Die Einbindung weiterer zentraler Unternehmensfunktionen in die Markenführung, von der Unternehmensleitung und -entwicklung bis zu den HR-Experten, ermöglicht heute neue Wirkungsfelder und Synergien. Dazu gehören das Nutzen der kommunikativen und emotionalen Potentiale der Marke als Treiber von Change Prozessen, die Befähigung von Mitarbeitern als Markenbotschafter, sowie die Einbindung der inhaltlichen Grundlagen der Marke zur Führungsschulung und Mitarbeiterbeurteilung. Die Marke ist so mehr als eine Teildisziplin der Unternehmenskommunikation, sie wird zu einem zentralen Führungsinstrument für die Unternehmenssteuerung.

 

Szenarien für das Schärfen des Blickfeldes

Die hier vorgeschlagenen Entwicklungsthemen der Branding-Disziplin – sie sind nicht abschliessend – lassen wohl nur ein Fazit zu: Es geht darum, die eigene «Komfortzone» zu verlassen und sich nicht mit den tradierten Rollenverständnissen zu begnügen. Dies betrifft nicht nur die Rolle des Brand Design, auch das Brand Consulting ist davon betroffen. Nur – und da liegt ein entscheidender Unterschied – sind die Entwicklungs-linien der beiden Kernaufgaben des Branding unterschiedlich verlaufen. Dominierten für viele Jahre in den CD-Agenturen die Designer, so sind im Laufe der letzten 15 Jahre immer mehr Berater, Projektleiter und Strategen an die «Schalthebel» gelangt. Und ebenso entwickelten sich die Kompetenzen auf Kunden- und Unternehmensseite weiter. Darum darf und muss besonders die Disziplin Brand Design bezüglich ihrer künftigen Relevanz sensibilisiert und befragt werden. 

Die Konsequenzen, die sich aus den vier Entwicklungsthemen ableiten lassen, können durchaus unterschiedlich und kontrovers ausfallen. Folgende sechs Dimensionen skizzieren mögliche Szenarien für das Selbstverständnis des Brand Design:

 

1. Die modernen Klassiker 

Die Klassiker der Branche bleiben ihrem Leisten treu. Sie fokussieren auf ihre Kernkompetenzen, entwickeln diese aufgrund der neuen Entwicklungen gezielt weiter und pflegen einen bewussten Umgang mit der Tradition des Berufes Grafiker oder Gestalter. Sei es in der Entwicklung von Markenauftritten sowie in der Betreuung der langfristigen Markenpflege, also sowohl mit Fokus in der Konzeption wie auch in der Umsetzung. Ganz in der Überzeugung: Die neuen Tendenzen des Branding nehmen wir an, die inhaltlich fundierte Form wird in der Markendiskussion aber immer wichtig und prägend sein. 

 

 

2. Die Seitenwechsler

Die Seitenwechsler sind erfahrene Praktiker, die aus verschiedenen Gründen den Bedarf nach einer Weiterbildung sehen. Sie suchen und finden dies im Umfeld der sehr interdisziplinären Branding-Diziplin – von MBA Curricula bis zu Kommunikations-lehrgängen. 

In der Umschulung sehen sie die Möglichkeit in Kombination mit ihrem gestalterischen Hintergrund neue Kompetenzen in die Praxis mit einzubringen und sich so weiter zu entwickeln. Sei es in Richtung finanzielle Markenbewertung oder im Bereich des Marken- und Reputationsmanagements auf Agentur- oder Kundenseite.

 

3. Die Fachdesigner

Die Fachdesigner sind Spezialisten und erkennen ihre Chance in der Fokussierung ihrer Kompetenzen auf ein spezifisches Gebiet. Sie sehen auch in Weiterbildungen mögliche Chancen, anders als die Seitenwechsler bleiben sie dem Thema Design treu. Die Themen hier sind breit und reichen vom spezialisierten Typografen oder Farbspezialisten, dem Informationsgrafiker, dem Social Media & Interaction Design, Motion Design, bis hin zu Spezialthemen wie Medical Design oder Mobility Design. Fachdesigner sind überzeugt: für viele Aufgaben des Branding braucht es heutzutage wie in anderen Berufsgattungen Fachspezialisten.

 

4. Die Generalisten 

Die Generalisten sehen das Potential in der langfristigen und ganzheitlichen Entwicklung und Begleitung von Branding Mandaten. Sie sind Teil des Projektteams von der Analyse und Strategiephase bis zur Implementierung und nutzen dabei ihr gestalterisches Repertoire für die kommunikative und visuelle Erlebbarmachung von Unternehmens-strategien. Für spezifische Aufgaben nutzen sie ihr Netzwerk an Spezialisten. Sie verstehen sich als kollaborative, unternehmerische Dienstleister und agieren in einer strategisch-beraterischen Rolle mit entsprechenden Führungs- und Projektleitungs-qualitäten. Der spezifische Reiz des Brand Design liegt für sie in der Breite der Aufgaben und Gestaltungsmöglichkeiten.

 

5. Die Geschichtenerzähler 

Die Geschichtenerzähler haben eine starke redaktionelle und dramaturgische Affinität für das Thema Kommunikation und sind vielleicht auch erfahren als Art Directors auf Seiten von Kommunikationsagenturen. Sie kennen den Anspruch, eine Marke als System zu denken und zu entwickeln und wissen auch inhaltlich damit umzugehen. Für sie sind Marken keine Corporate Design Richtlinien, sondern Prinzipien, mit denen sich Geschichten erzählen und inszenieren lassen. Diese denken und konzipieren sie allein oder im Team und wissen sie auch umzusetzen.

 

6. Die Autoren

Die Autoren inszenieren sich selbst und ihr Designer-Sein als Marke. Sie rücken ihre Person in den Vordergrund und nutzen die mediale Nachfrage nach Personality-Marken oder eben «Star»-Designern. Auch sie arbeiten durchaus im Team, setzen aber auf eine Personalisierung ihrer Kompetenzen, der kollaborative Aspekt des Schaffensprozesses tritt in den Hintergrund. Je nach Veranlagung spezialisieren sie sich in einem Themen-bereich, oder eben sie erweitern als Generalisten laufend ihren Handlungs- und Designspielraum. Zu finden sind sie eher in kleineren oder mittelgrossen Ateliers als in grossen Korporationen.

 

Auf eine Bewertung der einzelnen Dimensionen soll an dieser Stelle verzichtet werden. Ziel ist das Schärfen des eigenen Standpunktes. In der Realität werden sich die einzelnen Ausprägungen überschneiden und es dominieren jeweils zwei oder drei Aspekte. Bei ernsthafter Reflexion wird sich aber kaum ein Brand Designer allen sechs Dimensionen zu gleichen Teilen zuordnen wollen und können.

 

Was sich seit den Zeiten der Corporate Identity zumindest nicht wesentlich geändert hat, ist der Hang nach dem Gesamtkunstwerk. Damit verbunden gilt: die Anforderungen an die Disziplin Brand Design sind hoch, die Potentiale und Chancen stehen gut. Im Zeitalter der Marke und des Branding vielleicht noch besser als damals im Corporate Design. 

 

Pascal Geissbühler ist Creative Director beim Beratungsunternehmen Branders in Zürich.