Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturwandel in deutschen Städten und Kommunen ist bekanntermaßen auch mit einem Wandel vieler visueller Erzeugnisse verbunden und daher aus der Perspektive des Branding und der Markenbildung äußerst spannend. In meiner Heimatstadt, der saarländischen Kreisstadt Neunkirchen, mit einer überschaubaren Organisationsstruktur und Größe, erscheinen diese Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zumeist greifbarer als in Großstädten und nehmen in ihrer Betrachtung innerhalb der Bevölkerung eine signifikante Rolle ein.
Da ich aus einer Familie von Gestaltern komme, habe ich schon seit Kindesjahren eine Faszination für die Visualisierungen rund um meine Heimat entwickelt. Mittlerweile ist mein Blickwinkel mehr und mehr kritisch geworden. Das ehemalige Identifikationsobjekt der Stadt, das Neukircher Eisenwerk, ist zwar als Industriedenkmal erhalten, aber spätestens seit Ende der 80er Jahre mit der Entstehung eines Einkaufscenters im Stadtkern nur noch ein mehr oder weniger pseudo-romantisches Gut.
Dabei macht die Stadt in der ersten Phase seiner neuzeitlichen Veränderung innerhalb der Industriestruktur – und der für die Region nicht ganz einfachen Abkehr von der Schwerindustrie – sowie mit dem Wandel im Zuge der Gebiets- und Verwaltungsreform zur Kreisstadt Mitte der 70er Jahre eine durchaus vielversprechende Figur. Im Jahre 1977 entsteht in diesem Zusammenhang das erste Logo der Stadt (Bild 2, Abbildung re.), entwickelt von Hans Huwer, einem saarländischen Designer und Künstler. Bereits vor meiner Zeit als ausgebildetem Designer, erscheint mir das Logo immer passend, irgendwie angenehm und es begegnet mir an vielen verschiedenen Stellen. Es gilt sowohl innerhalb der Stadt, als auch in der Design-Szene der Bundesrepublik als anerkannt (veröffentlicht u. a. in „graphis annual 79/80“, Zürich sowie im Fachbuch „Mut zum Profil“ von Mattias Beyrow, 1998). Zum heutigen Zeitpunkt und einer intensiveren Betrachtung, würde ich es aufgrund seiner Systematik und Flexibilität (Bild 4, Abbildungen re.) als eines der gelungensten Beispiele früher deutscher Städte-Erscheinungsbilder bezeichnen.
Bild 2
Wappen der Stadt Neunkirchen (li.)
Logo, Wort/- Bildmarke der Stadt Neunkirchen (re.)
Bild 4
Bildmarke der Stadt Neunkirchen mit Claim (li.)
Varianten der Bildmarke der Stadt Neunkirchen, Auswahl 1977 – 2013 (re.)
Aus der gestalterischen Systematik des Stadt-Logos entwickelt Huwer 1988 auch das Signet des Landkreises Neunkirchen (Bild 3, Abbildung re.). Formal bildet es eine Rosette (in Anlehnung der blauen Rose aus dem Landkreis-Wappen) mit einem sechseckigen Kern (Bild 3, Abbildung li.). Das äußere Band des Zeichens deutet auf die sechs Gemeinden hin, die sich um ein Zentrum gliedern. Die innere Form lässt sich leicht mit dem Stadtlogo von Neunkirchen in Verbindung bringen. Hierdurch wurde eine gestalterische Übereinstimmung zwischen der Stadt und Neunkirchen und dem Landkreis erreicht. Unter dem Titel „Ein Landkreis blüht auf“, wird das Landkreis-Logo erstmals präsentiert und fortan vor allem in der verwaltungstechnischen Kommunikation dargestellt. Bis Ende 2013 hat dieser Teil der visuellen Identität Neunkirchens Bestand.
Bild 3
Wappen des Landkreis Neunkirchen (li.)
Logo, Bild/- Wortmarke des Landkreis Neunkirchen (re.)
Anfang Dezember, präsentiert die neue Landrätin der breiten Öffentlichkeit dann eine neue „Dachmarke“ (Bild 1, Abbildung li.) für die Region Neunkirchen, mit dem Ziel, den Landkreis zu modernisieren und ihm zu „neuem Image“ zu verhelfen, wie es in der Saarbrücker Zeitung (Lokalpresse) heißt. Ganz schön viel Neues, so plötzlich. Umgesetzt oder wie es heißt „durch Umfragen, Workshops und Leitprojekte“ entwickelt, wurde die Gestaltung durch eine Saarbrücker Marketingagentur. Ob man alleine schon aus Sicht der korrekten Klassifizierung von einer „Dachmarke“ sprechen sollte, würde ich gleich zu Beginn in Frage stellen wollen. Die „Dachmarke“ bleibt, zumindest nach allgemeinem fachlichen Verständnis, das von Huwer entwickelte Stadtlogo für Neunkirchen. Wesentlich interessanter ist jedoch die Fragestellung, ob die florale und farbenfrohe Neuerscheinung eine hohe Lebenserwartung hat, denn Hans Huwer hat unmittelbar nachdem sein Signet für den Landkreis ohne sein Wissen oder Einverständnis im neuen Logo verwurstet und verändert worden war („Um nicht mit der Tradition zu brechen, sondern sie in einen neuen Kontext zu stellen“, so die Argumentation der Landrätin) Gebrauch von seinen Urheberpersönlichkeitsrechten gemacht. Durch diese juristischen Fehler und ihrer Konsequenzen wird dem Bildzeichen (Bild 1, Abbildung re.) jegliche, bis dato noch irgendwie übrig gebliebene lokale Identifikation entrissen. Allerdings, so die Landrätin, in Folge einer Unterlassungserklärung, sei Huwer´s Signet „nicht wesentlicher Bestandteil unserer neuen Dachmarke“.
„Dachmarke" Region Neunkirchen, Launch Dezember 2013 (li.)
„Dachmarke" Region Neunkirchen, nach Unterlassungserklärung Januar 2014 (re.)
Was dann Buntes übrig bleibt, steht laut der Agentur in der Farbe „Grün für die Natur der Region, Rot für die Industrie, Blau für das Wasser, Dunkelgrün für… “ Schon gut. Alles andere als eigenständig, geschweige denn interessant oder in irgendeiner Art und Weise stellvertretend für die „Region“ um Neunkirchen. Dabei heißt es in erster Presseerklärung zur Einführung der neuen und hier zumindest noch vollständigen (mit Huwers Signet) „Dachmarke“, dass die Herausforderung in diesem Gestaltungsprozess darin liegt, für eine "Gegend mit Ecken und Kanten" zu gestalten. Exakt, Aufgabe verstanden – inhaltlich. Zumindest ein bisschen. Was dann gestaltet wird, ist bedauerlicherweise weit entfernt von besagten Ecken und Kanten und an Belanglosigkeit kaum zu überbieten. Einem Logo-Interessierten Auge, dürfte aber die in seiner Form und Farbrhythmik auszumachende Ähnlichkeit zum NBC-Logo aufgefallen sein – was ja zumindest kein schlechtes seiner Zunft ist. Der Claim „Echt anders. Echt gut.“ rundet das schwache Gesamtbild ab. Unglaubwürdig, dass hierzu eine fundierte oder inspirierte Auseinandersetzung stattgefunden haben soll. Dass Honorare (die Rede ist hier von EUR 14.000) zumeist mit eher misslungenen Beispielen kolportiert werden, dürfte in diesem Zusammenhang auch nicht weiter überraschen, höchstens weiter verärgern. Dabei hat man laut Aussage der Landrätin „die Beauftragung der günstigsten Agentur“ unter bewusstem Ausschluss der Designer vor Ort gegeben, da man „nicht im eigenen Saft schmoren wolle“. Auch diese Äußerung lässt nichts Gutes erahnen und unterstreicht das Fehlen jeglicher fachlich fundierten bzw. objektiven Bewertungsfähigkeit in Reihen der kommunalpolitischen Auftragsvergabe.
Ohne Zweifel ist es eine absolut schwierige Aufgabe für und/oder mit politischen Gremien zu gestalten. Oftmals geben hier alleine die Rahmenbedingungen bereits für die Gestalter bzw. Ausführenden eine unglückliche Richtung vor. Wie man die Sache in Neunkirchen handhabt – gerade in der immer willkürlicher werdenden und fortwährenden Argumentation für die Neukreation – wirkt allerdings beschämend und ist ein Paradebeispiel für leider häufige gravierende Fehler innerhalb städtischer Marketing-Aktivitäten. Falls es zu einer Neugestaltung der Neugestaltung kommen sollte, sei als mögliche gestalterische Inspiration zum Beispiel auf das Wappen (Bild 2, Abbildung li.) der Stadt verwiesen, welches – heraldisch durchaus unüblich – ausschließlich in schwarz und silber und mit einem Minimum an gestalterischer Redundanz gehalten ist.
Lukas Weber, Partner „made in“